Entscheidung (inkl. Denk- und Urteilsfehlern) und Zielkonflikt

Allgemein lässt sich eine Entscheidung als Wahl zwischen mindestens zwei Alternativen unter Berücksichtigung von Zielen verstehen. Wirtschaftliche Spezifika von Entscheidungen ergeben sich aus dem Knappheitsproblem, sodass Entscheidungen möglichst rational zu treffen sind (normative Komponente der Entscheidungstheorie) mit dem Ziel der Nutzen- beziehungsweise Gewinnmaximierung, hoher Effizienz beziehungsweise eines möglichst optimalen Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Eine rationale Entscheidung hat also die Wahl der bestmöglichen (nutzenmaximierenden) Alternative zur Folge.

Eine besondere Herausforderung liegt dabei im Umgang mit mehreren Zielen, die sich häufig nicht gleichzeitig in vollem Umfang erreichen lassen. Solche Zielkonflikte treten bei den meisten individuellen Entscheidungen auf (zum Beispiel bei der Wahl einer Wohnung zwischen Kosten, Lage und Größe oder bei einer Anlageentscheidung, bei der zwischen Rendite und Risiko abzuwägen ist), aber auch im Rahmen der Wirtschaftspolitik (zum Beispiel zusätzliche Investitionen vs. Steuersenkungen).

Gemäß der ökonomischen Verhaltenstheorie beziehungsweise des Rational-Choice-Ansatzes sind menschliche Verhaltensweisen und damit auch Entscheidungen abhängig von zwei wesentlichen Faktoren: Zum einen den Präferenzen eines Entscheidungsträgers, aus denen sich der Nutzen ableiten lässt, zum anderen den Restriktionen (zum Beispiel knappe finanzielle Mittel, Zeit, Know-how) denen er unterliegt. Vor diesem Hintergrund trifft er rational eine nutzenmaximierende Entscheidung. Dabei gilt es, das Kosten-Nutzen-Verhältnis und die Opportunitätskosten zu berücksichtigen. Zwar sind diese komplexitätsreduzierenden Annahmen hilfreich zur Analyse etlicher abstrakter ökonomischer Phänomene (zum Beispiel zum Nachfrageverhalten nach Gütern), allerdings für viele lebensweltliche Entscheidungssituationen nur bedingt nützlich. Hierfür müssen weitere Aspekte von Entscheidungen berücksichtigt werden:

  • Entscheider streben nicht zwingend die Eigennutzenmaximierungan, sondern fühlen sich gegebenenfalls an soziale Konventionen und ethische Normen wie Verantwortung gegenüber anderen gebunden, was auch ein Ziel der ökonomischen Bildung darstellt.
  • Viele Entscheidungen werden unter Vorliegen unvollständiger Informationen getroffen, entweder weil grundsätzlich nicht alle relevanten Informationen verfügbar sind oder weil deren Beschaffung mit hohem Aufwand (Transaktionskosten) einherginge.
  • Damit im Zusammenhang steht die in vielen Situationen unvermeidbare Unsicherheit beziehungsweise das Problem des Risikos. Zahlreiche Fragestellungen lassen sich nicht vollständig durchkalkulieren, da nicht alle Einflussfaktoren und Wirkmechanismen eruierbar oder aufgrund ihres stochastischen Charakters oder ihrer Komplexität nicht (eindeutig) berechenbar sind.
  • Auch können kurz- und langfristige Wirkungen einer Entscheidung gegenläufig sein.
  • Die Informationsverarbeitungskapazität der Entscheider ist begrenzt.
  • Gemäß Erkenntnissen der Verhaltensökonomie und der Psychologie unterliegen viele Menschen zahlreichen Denk- und Wahrnehmungsfehlern (deskriptive Komponente der Entscheidungstheorie), die zu suboptimalen Ergebnissen in ökonomisch geprägten Situationen führen können. Einige Beispiele:
    • Availability Bias/Verfügbarkeitsheuristik/Verfügbarkeitsbias: Entscheidungen werden getroffen aufgrund von Informationen, die leicht zu beschaffen sind oder an die man sich gut erinnern kann. Deshalb werden Vorstellungen über Sachverhalte (und damit verbundene Entscheidungen) häufig nicht aufgrund von eventuell aufwändig erhältlichen Informationen entwickelt, sondern aufgrund leicht verfügbarer, aber eventuell falscher oder unzureichender Informationen, eigener Erfahrungen oder Medienberichten. Im Ergebnis werden Entscheidungen aufgrund falscher Informationen und falscher Risikoeinschätzungen getroffen, zum Beispiel Kauf sehr riskanter Finanzprodukte, Vermeidung von Aktien oder Flügen.
    • Neglect of Probability/Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung: Insbesondere kleine Risiken werden entweder komplett ignoriert oder stark überschätzt. Menschen reagieren zwar auf das Ausmaß eines Ereignisses, aber kaum auf seine Wahrscheinlichkeit. Dies führt beispielsweise dazu, dass zu viele beziehungsweise kaum empfehlenswerte Versicherungsverträge geschlossen werden.
    • Spielerfehlschluss: Die Annahme, dass ein zufälliges Ereignis wahrscheinlicher wird, je länger es nicht eingetroffen ist und umgekehrt. Beispielsweise die Vermutung, es müsse im Roulette bald rot erscheinen, wenn in den letzten zehn Spielen immer schwarz kam (wenn der Spieltisch nicht manipuliert ist) oder die Vermutung, ein Aktienkurs müsse sinken, nur weil er lange gestiegen ist.
    • Outcome Bias: Die Qualität einer Entscheidung wird anhand ihres Ergebnisses bewertet statt anhand der Entscheidung selbst. Dies kann bei zufallsbeeinflussten Ergebnissen dazu führen, dass schlechte Entscheidungen/Entscheider/Strategien, die aufgrund unwahrscheinlicher Ereignisse erfolgreich waren, positiv bewertet und erneut zum Einsatz kommen. Beispielsweise haben fast alle Investmentfondsanbieter viele Fonds im Angebot, von denen zwangsläufig manche eine sehr positive Wertentwicklung aufweisen können. Diese werden dann mit Hinweis auf die bisherigen Ergebnisse beworben. Gleichwohl sagt dies zunächst nichts über die Qualität der Fondsmanager und die künftige Wertentwicklung aus.
    • Verlustaversion: Verluste werden emotional deutlich höher gewichtet als Gewinne. Deshalb werden theoretisch sinnvolle Risiken nicht eingegangen. In der Konsequenz kommt es unter anderem zur Überversicherung, zur Bevorzugung vermeintlich sicherer Anlageformen trotz ungünstigen Risiko-Rendite-Verhältnisses oder zum Festhalten an Aktien, die unter dem Einstandskurs notieren.
    • Endowment- beziehungsweise Besitztumseffekt: Menschen schätzen ein Gut wertvoller ein, wenn sie es besitzen. Dies führt unter anderem dazu, dass Verkäufer den Wert ihres Hauses oder Autos deutlich über dem üblichen Marktpreis einschätzen und sie nur schwer einen Käufer finden.
    • Mental Accounting/Mentale Buchführung: Einteilung finanzieller Transaktionen in verschiedene ‚mentale Konten‘, die unterschiedlich behandelt werden. Daraus können Fehlentscheidungen getroffen werden. So kann sich der Umgang mit Geld unterscheiden abhängig davon, ob es gedanklich auf dem Konto ‚hart erarbeitet‘ oder ‚im Lotto gewonnen‘ verbucht ist.
    • Sunk-Cost-Fallacy: Bereits angefallene Kosten führen dazu etwas weiterzuführen, obwohl dies bei objektiver Betrachtung nicht sinnvoll wäre (zum Beispiel Anleger, die sich bei der Verkaufsentscheidung einer Aktie an ihrem Einstandspreis orientieren).
    • Framing: Die Formulierung beziehungsweise Rahmung einer Botschaft beeinflusst die Reaktion auf diese, indem sie den Fokus auf einen bestimmten Aspekt der Situation lenkt. Beispielsweise führt die Aussage ‚Sie haben beim Roulette eine 50 %-Chance, Ihren Einsatz zu verdoppeln‘ eher zum Spielen als ‚Sie verlieren beim Roulette mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % Ihren Einsatz‘.
    • Kontrasteffekt: Menschen haben Schwierigkeiten mit absoluten Beurteilungen und nehmen stattdessen relative Vergleiche vor. Im Ergebnis erscheint etwas schöner, günstiger etc., wenn es mit etwas Hässlicherem oder Teurerem verglichen wird. Zum Beispiel wirkt ein Produkt günstiger, wenn es sichtbar reduziert wurde als das gleiche Produkt, das von Anfang an den günstigeren Preis hatte.
    • Social Proof/Herdentrieb: Die Annahme, dass etwas richtig ist, wenn es viele für richtig halten. Dies ist eine typische Ursache für Blasen und Panik am Aktienmarkt.
    • Reziprozität: Menschen haben das evolutionär beziehungsweise genetisch bedingte Bedürfnis des gegenseitigen Ausgleichs. Wenn man etwas erhält, möchte man etwas zurückgeben. Dies kann zur Manipulation missbraucht werden: Wenn man etwas geschenkt bekommt, entsteht das Bedürfnis nach einer Gegenleistung, die man eventuell gar nicht erbringen möchte, sich aber dazu verpflichtet fühlt. So liegen Spendenaufrufen oft kleine Geschenke wie Postkarten bei, was zu einem nachweislich größeren Spendenaufkommen führt. Der gleiche Mechanismus liegt teilweise Korruption zugrunde, wenn ein Entscheider Geschenke erhält beziehungsweise annimmt und sich deswegen zu einer Gegenleistung verpflichtet fühlt.

Da Entscheidungen in fast allen ökonomisch geprägten Lebenssituationen zu treffen sind (zum Beispiel Entscheidungen für Konsumgüter, Kreditangebote, Anlagemöglichkeiten, Versicherungen, Berufe oder eine politische Partei bei Wahlen) und teilweise erhebliche Konsequenzen haben, ist die Entwicklung von Entscheidungskompetenz ein zentrales Ziel ökonomischer Bildung. Zur Entscheidungskompetenz gehört unter anderem …

  • die entscheidungsrelevanten situativen Rahmenbedingungen zu analysieren (zum Beispiel: Wer hat welche Interessen/Präferenzen? Welche Ziele werden angestrebt? Welche Vernetzungseffekte gibt es?).
  • entscheidungsrelevante Informationen zu recherchieren, zu bewerten, zu strukturieren und auf dieser Basis
  • Alternativen zu bewerten und dabei Zielkonflikte, kurz- und langfristige Wirkungen, Nebenwirkungen, Wahrscheinlichkeiten/Risiken und Auswirkungen auf Dritte zu berücksichtigen. Dazu bedarf es der
  • Fähigkeit zur Anwendung von Instrumenten zur Entscheidungsunterstützung (zum Beispiel Nutzwertanalyse, Break-Even-Analyse, Kostenvergleichsrechnung, Kosten- und Leistungsrechnung, Kennziffern, statische und dynamische Modelle zur Simulation der Konsequenzen unterschiedlicher Entscheidungen, Szenariotechnik).
  • typische Denk- und Urteilsfehler zu kennen und diese vermeiden zu können.
  • einzuschätzen, wann statt der aufwändigen, vernunftbetonten Verfahren auch zeitsparende und anstrengungsreduzierende Heuristiken und Verhaltensregeln (zum Beispiel Imitation des Verhaltens anderer) sinnvoll sein können.

Insofern sind Entscheidungen für fast alle Themen des Wirtschaftsunterrichts relevant. Sie stellen einen integralen Bestandteil vor allem des problem- und lebenssituationsorientierten Unterrichts dar.