Gerechtigkeit
Der für menschliche Beziehungen und Wertvorstellungen grundlegende Begriff der Gerechtigkeit ist sehr facettenreich. In wirtschaftlicher Hinsicht ist insbesondere die soziale Gerechtigkeit beziehungsweise Verteilungsgerechtigkeit von Bedeutung, mit der eine gerechte Verteilung von Ressourcen, Chancen und Rechten gemeint und die primär durch staatliche Aktivitäten und Institutionen herstellbar ist. Gleichwohl ist das Konstrukt der sozialen Gerechtigkeit recht unscharf, da hierunter ganz unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen subsumiert werden, wie beispielsweise:
- Leistungsgerechtigkeit: Der Anteil eines Individuums am gesellschaftlichen Wohlstand (zum Beispiel Höhe des Gehalts oder des Einkommens) hängt von seinem persönlichen Beitrag beziehungsweise Aufwand ab. Insofern ist materielle Ungleichheit ein wesentliches Element der Leistungsgerechtigkeit und soll dazu motivieren, sich anzustrengen und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten.
- Bedarfsgerechtigkeit: Die Zuweisung von Ressourcen wird nicht (in erster Linie) von der Leistung eines Individuums, sondern von dessen Bedürfnissen abhängig gemacht. Insbesondere sollen zumindest die Mindestbedürfnisse gedeckt werden. Aus dieser Gerechtigkeitskonzeption folgen Maßnahmen wie Sozialhilfe oder Mindestlöhne.
- Chancengerechtigkeitzielt darauf ab, Menschen möglichst gleich gute Startchancen zu bieten. Sie sollen ihre Lebenssituation durch eigene Anstrengung verbessern können, ohne (zu sehr) durch äußere Rahmenbedingungen wie beispielsweise einem niedrigen Bildungsniveau der Eltern benachteiligt zu sein. Chancengerechtigkeit kann angestrebt werden durch umfassende frühkindliche Förderangebote, hohe staatliche Bildungsinvestitionen oder eine hohe Erbschaftssteuer.
Gerechtigkeitsvorstellungen beziehen sich in der Regel auf eine gesellschaftliche Gruppe, meist auf die derzeitige Bevölkerung eines Landes. Je nach Fragestellung können jedoch andere Bezugsmaßstäbe ethisch gebotener sein, beispielsweise durch die Berücksichtigung der gesamten Weltbevölkerung (globale Gerechtigkeit) oder künftiger Generationen (Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit).
Jenseits der primär staatlichen Verteilungsgerechtigkeit stellen sich in zahlreichen ökonomisch geprägten Lebenssituationen (zum Beispiel Kauf-, Miet- und Arbeitsverträge) auch Fragen der Tauschgerechtigkeit auf der Ebene individuellen Handelns. Solche Transaktionen werden dann als gerecht eingeschätzt, wenn sie von entscheidungsfähigen Personen freiwillig eingegangen werden, die über die relevanten Informationen verfügen und wohlüberlegt handeln. In der Regel tendieren Menschen – im Widerspruch zur Annahme der Eigennutzenmaximierung – im Rahmen ihrer individualethischen Überzeugungen zu Tauschgerechtigkeit. Dies liegt unter anderem daran, dass sie die Norm der Reziprozität verinnerlicht und eine Aversion gegen Ungleichheit haben. Darüber hinaus leisten Regelungen zur Geschäftsfähigkeit, Sittenwidrigkeit, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, zum Betrug etc. einen Beitrag zur Herstellung der Tauschgerechtigkeit auf institutioneller Ebene.
Im Hinblick auf ökonomische Bildung sind Gerechtigkeitsfragen von erheblicher Bedeutung, sowohl als Orientierungsmaßstab eigenen Handelns als auch zur Bewertung gesellschaftlicher Herausforderungen und Institutionen. Insofern sollten Schüler verschiedene Gerechtigkeitskonzepte kennen, jeweilige Interessenlagen identifizieren können und differenzierte Gerechtigkeitsvorstellungen entwickeln.
Die Kategorie der Gerechtigkeit ist sehr vielen Wirtschaftsthemen immanent, beispielsweise: Sozialpolitik, Steuerpolitik (unter anderem Einkommens- und Vermögenssteuer), Subventionen, Entwicklungshilfe, Außenhandelspolitik, (Protektionismus vs. Freihandel), Umgang mit externen Effekten, Wettbewerbssicherung/Wettbewerbsrecht (unter anderem unlauterer Wettbewerb), Höchst- und Mindestpreise, Löhne, Mitbestimmung, Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz.