Victoria 2 (V2)
In V2 lenkt der Spieler die Geschicke eines frei wählbaren Lands im Zeitraum von 1836-1936. Dabei gilt es Entscheidungen in den Bereichen Produktion, Handel, Finanzen, Forschung, Politik, Bevölkerungsentwicklung, Diplomatie und Militär. Zwar liegt der Fokus des Spiels im militärischen Bereich, allerdings kommt auch wirtschaftlichen Fragen große Bedeutung zu.
V2 ist äußerst komplex, vielfältig und aufgrund seiner hohen Lernkurve vergleichsweise schwer erlernbar. Wer an solchen sog. Grand Strategy Games grundsätzlich Gefallen findet und die Einstiegshürden überwunden hat, dürfte sich mit V2 jedoch auch langfristig gut unterhalten. Aufgrund seines Anspruchsniveaus eignet es sich erst für ältere Jugendliche, die über hinreichendes Abstraktionsvermögen verfügen.
In technischer Hinsicht stellt V2 keine besonderen Anforderungen, läuft allerdings nur auf Windows-Computern. Das Basisspiel kostet bei Steam 20 Euro (reduziert 5 Euro). Die empfehlenswerten DLCs ‚A House Divided‘ und ‚Heart of Darkness‘ kosten weitere 30 Euro (reduziert 15 Euro). V2 ist sowohl im Einzel- als auch Multiplayermodus spielbar.
|
|
Kompetenzbereiche |
|
+++ |
|
|
|
+ |
|
|
|
Kategorien |
|
+ |
|
+ |
|
++ |
|
+ |
|
++ |
|
++ |
|
++ |
|
++ |
|
+++ |
|
++ |
|
++ |
|
+++ |
|
|
|
Bezug zu anderen Domänen: |
|
Geschichte |
+++ |
Geographie |
++ |
Politik |
++ |
|
|
Erläuterung |
+ wenig ++ mittel +++ viel |
Weitere Inhalte: |
Wirtschaftsordnungen, Industrialisierung, Fiskalpolitik, Industriepolitik |
V2 versetzt den Spieler in die Rolle eines Staatenlenkers, wobei er im Rahmen unterschiedlicher politischer Systeme (z.B. Demokratie, Monarchie, Diktatur) und politischer Rahmenbedingungen (abhängig von der Zusammensetzung des Parlaments) agiert. Im Rahmen der damit einhergehenden Grenzen lassen sich unterschiedliche Formen der Wirtschaftspolitik mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen betreiben. Dabei gilt es, die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft genauso im Blick zu halten, wie den Staatshaushalt, das Bildungsniveau oder die militärischen Ziele. Durch ein verbessertes Verständnis von (Wirtschafts-)Politik kann die Rolle des Bürgers gestärkt werden.
Darüber hinaus kann V2 das Denken in ökonomischen Kategorien fördern. Wenngleich nur ein untergeordneter spielerischer Aspekt gilt es die Bedürfnisse der Bevölkerung im Blick zu halten, so dass unerwünschte Ereignisse wie Revolutionen unterbleiben. Eine zentrale Herausforderung im Spiel ist hingegen Knappheit: Neben Geld gilt dies insbesondere für militärische Einheiten, die nicht beliebig erhöht werden können, da sie von der Bevölkerungsgröße bzw. der Anzahl möglicher Marinestandorte gebunden sind. Weiterhin sind benötigte Rohstoffe und Güter oft nicht in gewünschtem Umfang verfügbar. Auch Forschungspunkte sind knapp und bedeutsam, da damit neue und effizientere Technologien erforscht werden können. In V2 gilt es mit zahlreichen Zielkonflikten umzugehen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Erforschung neuer Technologien, die nicht alle gleichzeitig verfügbar sind und unterschiedlichste Bereiche verbessern, was eine Priorisierung nötig macht. Zielkonflikte finden sich auch im Bereich der Fiskalpolitik. So besteht bei der Festlegung der Steuersätze und Zölle einerseits ein Interesse an möglichst hohen Einnahmen, andererseits haben hohe Steuern eine niedrigere Nachfrage, weniger Investitionsmöglichkeiten und eine höhere Unzufriedenheit der Bevölkerung zur Folge. Häufig sind in V2 auch singuläre Entscheidungen zu treffen, die jeweils ein Ziel zulasten eines anderen begünstigen, etwa wenn es um Fragen der Außenhandelspolitik geht. Bei einigen Spielentscheidungen gilt es Kosten-Nutzen-Abwägungen anzustellen und ggf. Risiken abzuwägen, was beispielsweise bei der Frage gilt, ob Krieg gegen ein anderes Land geführt werden soll (Nutzen: mögliche Eroberung einer Region - Kosten: international schlechteres Image (Infamiepunkte), verlorene Armeen und Bevölkerung – Risiken: Gefahr, die Kriegsziele nicht zu erreichen oder den Krieg zu verlieren). Auch Wachstum der Wirtschaftsleistung, Bevölkerung und Militärmacht ist von Bedeutung für den Spielerfolg, wobei neben organischem Wachstum über Investitionen und Bevölkerungsentwicklung in V2 Wachstum durch gewonnene Kriege erfolgt.
V2 enthält zahlreiche Inhalte, die für ökonomische Bildung von Bedeutung sind. So erhält der Spieler einen vertieften Eindruck über den Verlauf der Industriellen Revolution inkl. der Bedeutung etlicher technischer und wissenschaftlicher Innovationen. Weiterhin erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Spezifika unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen wie freier Marktwirtschaft/Laisser-faire, Staatsinterventionismus oder Planwirtschaft. Entscheidungen in den Bereichen der Fiskal- (Steuersätze für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, Kreditaufnahme, Ausgabenstruktur), Außenhandels- (Zölle, Anlegen von Sicherheitsreserven im Falle von Lieferengpässen) und Industriepolitik (Gründungen bestimmter Fabriken, Subventionen, Infrastruktur) sind integrale Elemente des Spiels.
V2 verdeutlicht auch die Relevanz der Bildung bzw. Qualifikation der Bevölkerung sowie der Infrastruktur für erfolgreiche Industrialisierungsprozesse. Ferner wird deutlich, dass aufeinander bezogene Produktionsketten zu Synergieeffekten führen. Schließlich werden immer wieder Informationstexte zu wirtschaftlichen Ideen und Wirtschafswissenschaftlern angezeigt; allerdings gilt es in diesem Zusammenhang keine Entscheidungen zu treffen, so dass sie von vielen Spielen vermutlich nicht gelesen werden.
Wirtschaftliche Fehlkonzepte dürften durch V2 kaum gefördert werden. Zwar sind die meisten Sachverhalte recht abstrakt dargestellt, inhaltlich aber kaum zu beanstanden. Lediglich bzgl. den Wirtschaftsformen kann kritisiert werden, dass die Probleme einer Planwirtschaft (insbes. niedrige Produktivität, schlechte Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung) im Spiel kaum deutlich werden.
In historischer Hinsicht ist festzuhalten, dass einige Startbedingungen im Jahr 1836 nicht der damaligen Situation entsprechen. Dies lässt sich jedoch durch Verwendung der ‚Historical Project Mod (HPM)‘ beheben.
Zwar historisch korrekt, in pädagogischer Hinsicht evtl. dennoch kritisch könnte das kriegerische Element des Spiels bewertet werden: (Gewonnene) Kriege sind in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht förderlich für den Spielverlauf, so dass sie durchaus als legitimes, rationales Mittel der Politik gesehen werden könnten. Dies kann durch die abstrakte Darstellung von Schlachten und Kriegen, bei der sich das von Kriegen ausgelöste Leid für Soldaten und Zivilbevölkerung nicht wiederfindet, befördert werden.
Wenngleich Victoria 2 nennenswertes wirtschaftliches Lernpotenzial aufweist, ist es für Geschichte noch deutlich größer. So werden im Zeitraum von 1836 bis 1936 sowohl globale (z.B. Kolonialisierung, Industrialisierung) als auch länderspezifische (z.B. deutsche Reichsgründung, japanische Meji-Restauration, amerikanischer Bürgerkrieg) historische Entwicklungen vergleichsweise realitätsnah abgebildet, insbesondere bei Verwendung der ‚Historical Project Mod (HPM)‘. Auch sind zahlreich allgemeine Informationen in das Spiel integriert und teilweise mit Entscheidungen kombiniert (z.B. Olympische Spiele die zu verbesserten diplomatischen Beziehungen führen, Weltausstellungen, Expeditionen, wissenschaftliche und kulturelle Entdeckungen, Krisen wie die polnische Befreiungsbewegung). Ferner verbessert V2 das Verständnis der Bedeutung wirtschaftlicher, kultureller, technologischer und militärischer Erfindungen. Im Hinblick auf Kriege wird durch V2 sowohl die Motivation zur Kriegsführung (erhöhtes internationales Ansehen durch gewonnene Kriege, wirtschaftliche Macht, vorhandenes Militär auch einsetzen, Bündnisverpflichtungen) als auch militärische Strategien (Truppenzusammensetzung, Technologien, Lage) deutlich, auch wenn dies aus heutiger Perspektive unter dem Gesichtspunkt der Friedenserziehung eher kritisch gesehen wird.
Für politische Bildung ergibt sich Lernpotenzial durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Regierungsformen und Parteiensystemen sowie der in V2 implementierbaren politischen Reformen (u.a. im Hinblick auf Wahlrecht oder Pressefreiheit). Ferner wird die Bedeutung von Sicherheitsbündnissen inkl. ihrer abschreckenden Funktion deutlich. Das Spiel sensibilisiert auch für die militärisch-strategische Bedeutung bestimmter Länder (z.B. Island und Hawaii als Militärstützpunkte, Türkei wegen der Kontrolle über den Zugang zum Schwarzen Meer) oder Kanäle (Suez- und Panamakanal). Letzteres ist auch für die geographische Bildung relevant. Darüber hinaus lernen die Spieler die nicht nur die Lage zahlreicher Länder, Regionen und Städte kennen, sondern auch eine zumindest grobe Vorstellung über deren Bevölkerungsgröße und natürliche Ressourcen.
Für den normalen Unterricht kann V2 aufgrund seiner Komplexität und des Zeitaufwands nicht empfohlen werden. Aus den gleichen Gründen eignet sich das Spiel auch nur sehr eingeschränkt für den Einsatz im Rahmen von Projekttagen oder freiwilligen Arbeitsgemeinschaften. Für solche Settings käme vor allem in Frage, den Schülern die Spielmechaniken zu erklären und ihnen Gelegenheit zum Austausch über das Spiel und die zugehörigen Inhalte zu geben. So ließe sich V2 steile Lernkurve besser bewältigen und ein Zugang zu dem Spiel schaffen. Auf dieser Basis ist eine eigenständige Auseinandersetzung mit V2 möglich, in deren Rahmen sich die oben dargestellten Lernpotenzials entfalten können. Dies kann unterstützt werden, indem die Spieler zum Nachdenken angeregt werden mittels Fragen wie beispielsweise:
- Wie unterscheiden sich die verschiedenen Wirtschaftsordnungen voneinander?
- Welche Zielkonflikte gibt es im Spiel? Wie gehen Sie damit um?
- Welche Auswirkungen haben hohe/niedrige Steuersätze für die Oberschicht?
- Vergleichen Sie Ihren Spielverlauf mit der tatsächlichen Geschichte des Landes, das Sie gespielt haben.
- Sie haben sich während des Spiels etliche Städte und Regionen kennengelernt. Überprüfen Sie, in welchen Ländern sie heute liegen.