(Beschränkte) Rationalität und Homo oeconomicus
In engem Zusammenhang zum ökonomischen Prinzip beziehungsweise zu wirtschaftlichem Handeln und den zugehörigen Wertfragen steht der Begriff der Rationalität. Allgemein wird darunter vernunftgeleitetes und an Zielen orientiertes Denken und Handeln verstanden. Der Begriff ist sehr komplex und facettenreich und wird vor allem in der Philosophie und Erkenntnistheorie untersucht. In der Wirtschaftswissenschaft wird Rationalität in der Regel mit Nutzenmaximierung gleichgesetzt, was vor dem Hintergrund knapper Ressourcen wiederum Effizienz impliziert. Anders formuliert bedeutet wirtschaftliches, rationales Handeln, das Ziel der Nutzenmaximierung effizient, also dem ökonomischen Prinzip entsprechend, zu verfolgen.
Allerdings stellen sich jenseits einer so verstandenen rein instrumentellen Rationalität, die lediglich die Effizienz einer Maßnahme betrachtet, wichtige Fragen im Hinblick auf das Ziel der Nutzenmaximierung, insbesondere wessen Nutzen maximiert, wie der Nutzen verteilt und wie mit negativen Auswirkungen für Dritte umgegangen werden soll:
- Soll lediglich der Nutzen des handelnden Akteurs maximiert werden (Eigennutzenmaximierung, Homo oeconomicus)? Zum Beispiel der Kauf des günstigsten Produkts unabhängig von seiner eventuell problematischen sozialen und ökologischen Herstellung.
- Ist der Nutzen der direkt beteiligten Interaktionspartner zu maximieren und wie soll der Nutzen zwischen den Partnern verteilt werden? Entsprechende Fragen stellen sich beispielsweise bei der Verteilung von Kooperationsgewinnenim Rahmen von Arbeitsverträgen oder bei der Globalisierung.
- Soll der Nutzen aller maximiert werden (was der Position des Utilitarismus entspricht)? Dann wäre präzisierend zu fragen, wer ‚alle‘ sind (zum Beispiel die Bevölkerung eines Landes oder der ganzen Welt). Weiterhin ist die Messung oder auch nur Schätzung des (erwarteten) Nutzens einer Maßnahme aufgrund zahlreicher Interdependenzen schwierig. Unabhängig von diesen Detailfragen ergeben sich häufig Probleme wie externe Effekte und soziale Dilemmata, die zu lösen wären. Entsprechende Entscheidungen sind meist von (supra-)staatlichen Organisationen und nicht von Individuen zu treffen, da Letztere in der Regel überwiegend die Maximierung ihres eigenen Nutzens anstreben.
Im Rahmen der Neoklassik und der ökonomischen Verhaltenstheorie sind diese Fragen mit Bezug auf das Modell des Homo oeconomicus, der seinen eigenen Nutzen maximieren möchte und entsprechend handelt, klar beantwortet. In der Neoklassik werden die Probleme der rationalen Entscheidungsfindung durch Ignorieren von Transaktionskosten und die Annahmen vollständiger Informationen und unbegrenzter Informationsverarbeitungsmöglichkeiten der Individuen weitgehend ausgeblendet. Mit Blick auf alltägliche ökonomische Enscheidungen (zum Beispiel Abschluss eines Mobilfunkvertrags) wird die Realitätsferne einer solchen Position deutlich. Zur Erklärung menschlichen Handelns in ökonomisch geprägten Lebenssituationen ist das unter anderem von den Wirtschaftsnobelpreisträgern Daniel Kahneman und Vernon Smith entwickelte Konzept der begrenzten Rationalität (Bounded Rationality) aussagekräftiger. Hierbei werden sowohl die Kosten der Informationsbeschaffung als auch die begrenzte mentale Kapazität der Akteure berücksichtigt. Dies führt dazu, dass Menschen in den meisten Fällen nicht alle Handlungsalternativen berücksichtigen und die Suche nach weiteren Optionen abgebrochen wird, sobald zumindest eine hinreichend attraktive Variante gefunden wurde (Satisficing statt Maximizing). Die so gefundenen Alternativen werden auch nicht mathematisch exakt, sondern mittels einfacherer Entscheidungsregeln (Heuristiken) bewertet. Dies beschränkt zwar den Entscheidungsaufwand, kann jedoch deutlich suboptimale Ergebnisse zur Folge haben, insbesondere da Menschen bei ihren Entscheidungen typischen Denkfehlern unterliegen.
Neben der Annahme der rationalen Entscheidung wird auch das Ziel der Nutzenmaximierung im Modell des als Homo oeconomicus von der Verhaltensökonomik und der experimentellen Wirtschaftsforschung mittels zahlreicher empirischer Belege als zu realitätsfern kritisiert. Dies ändert zwar nichts an der Nützlichkeit des Modells des Homo oeconomicus zur Analyse spezifischer Fragestellungen (etwa zur Ausgestaltung von Institutionen, um negative Konsequenzen von externen Effekten und sozialen Dilemmata zu reduzieren); gleichwohl sollten die Grenzen seiner Reichweite gesehen und nicht auf alle wirtschaftliche Fragen und Lebenssituationen übertragen werden.
Für die ökonomische Bildung sind die angesprochenen Kategorien und Zusammenhänge von Bedeutung, weil …
- - das ökonomische Prinzip, Effizienz und (beschränkte) Rationalität den Kern wirtschaftswissenschaftlicher Theorie und bis zu einem gewissen Grad auch des wirtschaftlichen Handelns ausmachen;
- - die Nutzung von Modellen (zum Beispiel Modell des Homo oeconomicus, der effizient, rational und eigennutzenmaximierend handelt) bei wirtschaftlichen Sachverhalten häufig hilfreich ist, da sie deren Komplexität gezielt reduzieren und dadurch leichter verständlich machen. Gleichzeitig können durch Hinterfragen der Modellprämissen die Grenzen von Modellen verdeutlicht werden. So wird auch klar, dass je nach Fragestellung unterschiedliche Modelle anzuwenden sind;
- - durch die Annahme des eigennutzenmaximierenden Akteurs eine Sensibilisierung für damit einhergehende Probleme (zum Beispiel externe Effekte, Gerechtigkeitsdefizite) und ein Verständnis für die Notwendigkeit ihrer Lösung (etwa mit Institutionen) einhergeht. So wird auch die ethische Komponente des Wirtschaftens deutlich;
- - die Lernenden durch Auseinandersetzung mit dem Konzept der beschränkten Rationalität und damit einhergehender Denkfehler die Qualität ihrer Entscheidungen in ökonomisch geprägten Lebenssituationen verbessern können.
Effizienz, Rationalität und das ökonomische Prinzip stehen in engem Zusammenhang zu anderen Denkschemata wie: Bedürfnis, Nutzen, Güter, Externalität, soziales Dilemma, Gerechtigkeit.